Parlamentarismus

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Archive for Oktober, 2008

Gemeinsame oder richtige Außenpolitik?

Oktober 25, 2008 By: Parlamentshistoriker Category: Bücher, Bundestag

Bemerkungen zur Bedeutung und zur Rolle des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages in den Jahren von 1949 bis 1961

Auswärtiger Ausschuß und Außenpolitik?
Was hat die Institution mit dem Politikfeld gemeinsam, vom Namen einmal abgesehen? Wer in den Darstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach Ausführungen zu dem Einfluß und der Bedeutung des Auswärtigen Ausschuß Ausschau hält, wird nur wenige Sätze – meist en passant eingestreut – finden. Und dies ist nicht weiter überraschend. Die vornehmste Aufgabe des Parlaments, die Kontrolle der Regierung, ist in der Außenpolitik noch viel schwieriger als in anderen Politikfeldern. Bei allen die Innenpolitik betreffenden Politikfeldern sind die wichtigsten Interessengruppen durch Abgeordnete im Parlament vertreten. Das politische System genügt sich selbst. Etwas anderes ist es mit der Außenpolitik. Das Ausland ist nicht durch Interessenvertreter im Parlament vertreten.

Die Abgeordneten sind auf Zeitungsberichte, eigene Kontakte und auf die Informationen der Regierung angewiesen. Die staatlichen Stellen wie das Kanzleramt und das Auswärtige Amt, die sich mit den Außenbeziehungen beschäftigen, haben einen natürlichen Informationsvorsprung vor den Abgeordneten. Sie verhandeln mit den Vertretern anderer Staaten über die Grundlagen und die Einzelheiten der Außenbeziehungen. Die Ergebnisse wie Verträge und Abkommen bedürfen allerdings der Zustimmung des Parlaments. Der Ratifikationsprozeß ist daher die wichtigste Möglichkeit des Bundestages, direkten Einfluß auf die deutsche Außenpolitik zu nehmen.

Die Vernachlässigung der parlamentarischen Außenpolitik durch internationale bzw. Diplomatiehistoriker war lange Zeit auch auf die Quellenlage zurückzuführen. Bis Mitte der neunziger Jahre waren die Protokolle des Auswärtigen Ausschusses der Wissenschaft nicht zugänglich. Abgeordnete konnten die Protokolle beim Ausschussassistenten einsehen. Der sozialdemokratische Abgeordnete Carl-Christoph Schweitzer hat die Protokolle erstmals für seinen Aufsatz »Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages im außenpolitischen Entscheidungssystem« ausgewertet. Da eine systematische Auswertung der Ausschußprotokolle durch Historiker nicht möglich war, blieb es bei diesem Aufsatz. Abgesehen von den Stenographischen Berichten des Bundestages selbst existieren meines Wissens keine schriftlichen Quellen, in denen die außenpolitische Debatte dieser Jahre so ausführlich dokumentiert ist und die auf einem so hohen Niveau geführt wurde.

Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass sich nicht irgendwelche unbekannten Experten über die deutsche Außenpolitik kontrovers auseinandersetzen, sondern die parlamentarische Elite des Bundestages. Ein Blick auf die Vorsitzenden in den ersten drei Wahlperioden mag dies belegen: Erster Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses war der sozialdemokratische Abgeordnete Carlo Schmid. Ihm folgte Eugen Gerstenmaier in der zweiten Wahlperiode nach, bis er Ende 1954 das Amt das Bundestagspräsidenten übernahm. Sein Nachfolger wurde der Vorsitzende des außenpolitischen Arbeitskreises der Unionsfraktion, Kurt Georg Kiesinger. Als sich Kiesingers Hoffnungen auf ein Ministeramt nach dem großen Wahlsieg Adenauers 1957 zerstoben, wechselte er Anfang 1959 als Ministerpräsident in die Landespolitik. Der von ihm gepflegte Stil der Zusammenarbeit der beiden großen Parteien im Ausschuß erleichterte es ihm ab 1966 als Bundeskanzler, mit den Sozialdemokratien zusammenzuarbeiten. Die Große Koalition wurde von Kiesinger und Herbert Wehner im Auswärtigen Ausschuß vorweggenommen.

Verschiebungen gab es bei der Anzahl der Abgeordneten. In der ersten Wahlperiode wurde der Ausschuß als 21-Auschuß konstituiert, um die Abgeordneten der KPD ausschließen zu können. Nach dem Verbot der Partei wurden der Auswärtige Ausschuß in den folgenden Wahlperioden als 29er Ausschuß konstituiert. Der Auswärtige Ausschuß tagte in den hier betrachteten Wahlperioden häufig: In der ersten Wahlperiode 120 Mal, in der zweiten 79 und in der dritten Wahlperiode 72 Mal. Bis 1955 musste Bundeskanzler Adenauer den Ausschussabgeordneten als Außenminister selbst Rede und Antwort stehen. Danach ließ er sich nur ungern im Ausschuß sehen, in der dritten Wahlperiode nur zweimal.

Man kann sich die Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses als Konferenzen vorstellen, in denen die Beteiligten versuchen, ihren Standpunkten und Auffassungen Geltung zu verschaffen. Ein Expertengespräch basiert auf einer gründlichen Vorbereitung. Zu diesem Zweck richteten die Fraktionen Arbeitskreise für Außenpolitik ein, in denen sie die Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses vor- und nachbearbeiteten. Nicht alle Abgeordnete waren aber dazu in der Lage, dem Zwang zur Professionalisierung so weit nachzugeben, wie es der Unionsabgeordnete Kurt Birrenbach tat. Nach eigenen Angaben sah er sein Mandat im Auswärtigen Ausschusses »wie einen vollen Beruf an, insofern als ich täglich mich mit der Durcharbeitung der Presse der wichtigsten Länder und der Literatur auf dem Gebiete der Außen,- Militär- und Außen-wirtschaftspolitik beschäftige«. Hinzu kämen ständige Informationsreisen.

Ein besonders heikles Problem aller Wahlperioden war der Bruch der Vertraulichkeit durch Ausschußmitglieder. Der Auswärtige Ausschuß und insbesondere die Abgeordneten der Opposition waren auf freimütig weitergegebene Informationen aus dem Munde des Bundeskanzlers und Außenministers angewiesen. Dieser war sowieso nur zögerlich bereit, sich auf die Fragen der Abgeordneten einzulassen. Presseberichte über den Inhalt von Ausschußsitzungen waren ein permanentes Thema in den Ausschußsitzungen. Ein Ausweg war, die Zahl der Teilnehmer zu verkleinern. In der krisenhaften Wochen vor dem Mauerbau 1961 lud Bundesaußenminister von Brentano die ordentlichen Mitglieder – also nicht auch die stellvertretenden Mitglieder – mehrmals zu geheimen Besprechungen in seine Dienstvilla ein.

Wenn der Auswärtige Ausschuß des Bundestages also kaum direkten Einfluß auf die operative Außenpolitik nehmen konnte, welchen Grund sollte die Wissenschaft daher, sich mit ihm zu beschäftigen? Ich analysiere die deutsche Außenpolitik seit nunmehr 15 Jahren. Beim Studium mehr oder weniger staubiger Aktenbestände ist mir bewusst geworden, dass es den Reichs- und Bundesregierungen und dem Auswärtigen Amt im letzten Jahrhundert gelungen ist, die außenpolitische Grundrichtung weitgehend zu bestimmen. Als ich mich im Rahmen meiner Dissertation mit dem Verhältnis Deutschlands zum Völkerbund zwischen 1918 und 1926 beschäftigt habe, habe ich die in der Literatur vorherrschende Auffassung bestätigen können bzw. müssen, dass der Weg über Locarno und den Völkerbundsbeitritt ein Ergebnis klassischer Kabinettsdiplomatie gewesen ist. Im Unterschied zu vielen rein diplomatiegeschichtlichen Darstellungen hatte ich mich schon damals auch mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Öffentlichkeit, die Parteien und die Presse die Wendung von einer Bejahung des Völkerbundes in den Monaten vor Abschluß des Versailler Vertrages über die Verweigerung der Mitgliedschaft im Völkerbund durch die alliierten Siegermächte hin zum erfolgten Beitritt diskutierten. Zu meinen Quellen gehörten auch Berichte über die Sitzungen des Auswärtigen Ausschuß des Reichstages, in denen Außenminister Gustav Stresemann seine Außenpolitik gegen die bohrenden Fragen der Opposition von links und rechts verteidigen musste. Die Debatten im Auswärtigen Ausschuß gaben Aufschluss über die außenpolitischen Denkschulen, über Versuche parteipolitischer Instrumentalisierung der Außenpolitik und das außenpolitische Selbstverständnis der Abgeordneten.

Welche Rolle sollte Deutschland in der Welt spielen, welche Methoden einsetzen, um welche Ziele zu erreichen? Derartige Fragen stellen sich bei Kriegsverlierern in besonderem Maße. Der außenpolitische Aufstieg ist mühsam und mit vielen Rückschlägen verbunden. Wenn die Regierung einen Modus vivendi mit den Siegermächten aushandelt, stellt sich die Frage, wie die Opposition sich zu der neuen Geschäftsgrundlage stellt, ob sie ihn bejaht oder bekämpft.

Für die ersten Jahre der Bundesrepublik gilt das scheinbar paradoxe Fazit: Je geringer die Souveränität des Bundeskanzlers, desto souveräner der Bundeskanzler. Was ist damit gemeint? Die Bundesrepublik erhielt als besiegter Feindstaat des Zweiten Weltkrieges erst nach und nach ihre Souveränität zurück. Die außenpolitischen Wirkungsmöglichkeiten waren bis zur Gründung des Auswärtigen Amts am März 1951 weitgehend darauf beschränkt, im Einvernehmen mit den Vertretern der Alliierten Siegermächte die Westintegration der Bundesrepublik durchzusetzen. Adenauer profitierte in seinen ersten Amtsjahren vom alleinigen und daher privilegierten Zugang zu den Hohen Kommissaren. Da jedes Tun und Unterlassen der Alliierten einen direkten Einfluß auf die deutsche Innenpolitik hatte, bestand die für den Regierungschef außerordentlich günstige Situation, dass er aufgrund seines Informationsvorsprunges mit seiner Außenpolitik die innenpolitische Konstellation in weit größerem Maße beeinflussen konnte als seine parteipolitischen Widersacher. Der Erfolg der von den Westmächten unterstützten Politik vergrößerte den Handlungsspielraum deutscher Außenpolitik. Nach der Erlangung der Souveränität im Mai 1955 waren die Deutschen weitgehend für ihr eigenes Schicksal verantwortlich.

Die (scheinbare) Alternativlosigkeit der deutschen Außenpolitik in den ersten Jahren des Bestehens der Republik hatte es Adenauer vergleichsweise einfach gemacht, die Mehrheit der Deutschen von der Richtigkeit seines außenpolitisches Kurses zu überzeugen. Nun aber, wo von den Deutschen schmerzhafte Entscheidungen etwa bezüglich der Anerkennung der Ostgrenzen und dem Weg zur Wiedervereinigung erwartet wurden, hatte die Bundesrepublik nicht nur an Souveränität und Gleichberechtigung zu gewinnen, sondern auch etwas zu verlieren. Darüber hinaus war das Selbstverständnis der fragilen westdeutschen Demokratie betroffen: Welche Rolle sollte die Bundesrepublik in Europa und in der Welt spielen? Die Beantwortung dieser Frage hatte Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung der deutschen Gesellschaft und vice versa. War die Bundesrepublik nur ein Provisorium, welches allenfalls eine Episode in der Geschichte Deutschlands bleiben würde?

In der Bundesrepublik wurde über diese Fragen engagiert diskutiert. Der wichtigste Ort der Debatte war das Plenum des Deutschen Bundestages. Waldemar Besson hat diesen Befund folgendermaßen zusammengefasst:

Nirgendwo ist diese neuartige Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments, die auch eine indirekte Richtungskontrolle durch die Bindung der Regierung an eine kontinuierliche Politik ermöglicht, deutlicher geworden als in den großen parlamentarischen Debatten. Zwischen 1949 und 1960 sind sie zweifellos die Höhepunkte des parlamentarischen Lebens in Deutschland gewesen. Die politische Wirkung dieser Debatten ist um so erstaunlicher, als sie im Gegensatz steht zu der weit verbreiteten Meinung, gerade die Außenpolitik sei dasjenige Gebiet, das eine parlamentarische Behandlung am wenigsten vertrage. In Wahrheit war auf keinem anderen Gebiet der deutschen Politik das Staatsvolk seit 1949 so sehr durch seine Vertretung mitbeteiligt wie eben hier. Die außenpolitischen Debatten waren ein Instrumentarium zur Vertiefung der parlamentarischen Demokratie.

Die Abrechnungen der ehemaligen Minister Adenauers, Thomas Dehler und Gustav Heinemann in der berühmten Bundestagsdebatte vom 23. Januar 1958 haben die Deutschen seinerzeit emotional stärker mitgenommen als alle Debatten über andere Politikfelder. Die öffentliche, häufig polemisch geführte parlamentarische Debatte stand in einem Spannungsverhältnis zur vertraulichen Ausschusssitzung ohne Publikum.

Um auf den Titel dieses Beitrags zurückzukommen: »Es geht nicht um die gemeinsame, es geht um die richtige Außenpolitik.« Mit diesen Worten versuchte Bundesaußenminister von Brentano in der denkwürdigen Bundestagsdebatte vom 30. Juni 1960 die Opposition von der Überlegenheit der außenpolitischen Konzeption der Bundesregierung zu überzeugen. Durch die Herstellung eines gemeinsamen außenpolitischen Konsenses in der Ostpolitik gelang es der Sozialdemokratie, dem Ansinnen des Außenministers eine eigene Konzeption gegenüberzustellen. Der Stilwandel der sozialdemokratischen Opposition von einer Politik der Konfrontation zu einer Politik der Gemeinsamkeit in großem Maße durch die Institutionen des Parlaments mitgeprägt wurden. Die sachliche und wichtiger noch, vertrauliche Aussprache im Ausschuß erleichterte es der SPD, sich der Westpolitik Adenauers anzuschließen.

Literatur:
Besson, Waldemar: Die aussenpolitische Debatte. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Bundestages, in: Führung und Bildung in der heutigen Welt. Festschrift zum 60. Geburtstag von Kurt Georg Kiesinger, Stuttgart 1964, S. 280–287.
Hölscher, Wolfgang (Bearb.): Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages. Sitzungsprotokolle 1949–1953, Düsseldorf 1998.
Hölscher, Wolfgang (Bearb.): Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages. Sitzungsprotokolle 1953–1957, Düsseldorf 2002.
Schweitzer, Carl-Christoph: Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages im außenpolitischen Entscheidungssystem, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 19/1980, S. 3-24.
Wintzer, Joachim: Deutschland und der Völkerbund 1918–1926, Paderborn 2006.
Wintzer, Joachim und Josef Boyer (Bearb.): Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages. Sitzungsprotokolle 1957–1961, Düsseldorf 2003.

Das Diktat und der Wähler

Oktober 02, 2008 By: Parlamentshistoriker Category: Reichstag, Vergleich

Wie reagieren Parlamente, wenn sie Gesetze beschließen müssen, die auf den Widerstand ihrer Wähler treffen?
Ein aktuelles – amerikanisches – Beispiel weckt die Erinnerung an ein historisches – deutsches – Beispiel.

Die »bailout bill«
Das amerikanische Repräsentantenhaus befasste sich am 29. September 2008 mit der bailout bill, einem 700-Milliarden-Dollar-Paket. Allgemein wurde in der veröffentlichten Meinung die Auffassung vertreten, dass die Verabschiedung dieses Gesetzes zur Behebung der Finanzkrise absolut notwendig sei: Nur durch die zeitweise Übernahme »fauler« Kredite werde ein weiterer Zusammenbruch von Banken mit unabsehbaren Folgen für das Finanz- und Wirtschaftssystem verhindert werden können.
Verständlicherweise waren viele Menschen empört, dass »die Banker« für ihr Versagen nicht einstehen sollten, sondern durch die staatliche Intervention ihre hohen Gehälter und Boni würden behalten können. Eine derartige Belohung von Misswirtschaft hatte es zuvor noch nicht gegeben.

Das »überraschende« Ergebnis der Abstimmung lautete: 228 Neinstimmen und nur 205 Jastimmen. Gegen das Paket stimmten 133 von 199 der republikanischen Mitglieder des Repräsentantenhauses und 95 der 235 Demokraten. Warum erhielt der Gesetzentwurf keine Mehrheit?

Einige republikanische Abgeordnete versuchten, die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi für die Neinstimmen der Republikaner verantwortlich zu machen. Diese habe eine parteipolitische Rede gehalten, die es vielen Republikanern unmöglich gemacht habe, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Pelosi hatte die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bush-Regierung als Ursache für die Krise benannt und in Richtung der Republikaner erklärt: »Die Party ist vorbei!«

Sind Abgeordnete so einfach zu beleidigen, selbst wenn es um das Wohl des Landes geht?
Die Gründe waren an anderer Stelle zu suchen: Die Telefonleitungen des Repräsentantenhauses waren in den Stunden vor der Abstimmung am Rande des Zusammenbruchs. Die Abgeordneten wurden von ihren Wählern bestürmt, dem Paket ihre Zustimmung zu verweigern.

Der republikanische Abgeordnete Darrell Issa sprach offen aus, dass ein großer Teil der Republikaner gegen Präsident Bush revoltiert habe. Die Wall Street dürfe nicht durch den Steuerzahler subventioniert werden. Zwar habe die Fraktionsführung alle Abgeordneten auf die Gefährdung der amerikanischen Wirtschaft hingewiesen und mit Sanktionen wie dem Verlust von Ämtern gedroht, die Rebellen hätten aber auf ihre Wähler gehört: Keine Steuergelder für gescheiterte Millionäre! Kein Cent für die gierigen Wall Street-Banker!
Issa konnte dem Druck der Fraktionsführung übrigens problemlos widerstehen, weil er selbst Millionär ist.

Der demokratische Abgeordnete Pete Visclosky ergänzte: »Wir leben im goldenen Zeitalter für Räuber. Und in meiner Welt werden Räuber nicht gerettet, sondern ins Gefängnis geworfen.«

So hatten beide Parteien zwar ein Interesse daran, dass das Paket verabschiedet würde, wollten aber vor den Wählern nicht dafür einstehen. Die Abgeordneten trotzten dem »Diktat« der Exekutive und der Finanzmärkte, weil für sie die befürchtete Reaktion der Wähler ausschlaggebend war. Erst im zweiten Anlauf konnte die Zustimmung mit staatspolitischer Vernunft gerechtfertigt werden. Beide Parteien hatten erfolgreich das Odium von sich gewiesen, die Wall-Street-Banker zu »beschenken«.

Der Friedensvertrag von Versailles
Im Juni 1919 musste die deutsche Nationalversammlung einen Weg finden, den von allen Parteien abgelehnten Friedensvertrag von Versailles zu ratifizieren. Die Regierung Scheidemann trat in den frühen Morgenstunden des 20. Juni 1919 zurück, weil sich das Kabinett nach der Ablehnung seiner Gegenvorschläge durch die Siegermächte nicht über die Frage der Unterzeichnung einigen konnte. Damit blieben weniger als 100 Stunden Zeit, um die von den Alliierten für den Fall der Nichtunterzeichnung angedrohte Wiederaufnahme militärischer Handlungen abzuwenden.
Die Gegner und Befürworter der Unterzeichnung des Friedensvertrages stimmten überein, dass die drohende Besetzung weiteren deutschen Gebiets zu bürgerkriegsähnlicher Wirren und dem Verlust der Reichseinheit durch Separatfriedenschlüsse führen könnte.
Der neue sozialdemokratische Reichskanzler Gustav Bauer sprach sich am 22. Juni 1919 vor der Nationalversammlung für die Vertragsunterzeichnung aus, lehnte aber einzelne Bestimmungen wie die Auslieferung von Deutschen an die Siegermächte und die Annahme des alleinigen Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Krieges ab. Während die Redner der Koalitionsfraktionen SPD und Zentrum sich Bauers Argumentation anschlossen, sprach sich der bisherige Reichsfinanzminister Eugen Schiffer im Namen der Mehrheit der DDP-Abgeordneten gegen die Annahme des Vertrages aus. Mit scharfen Worten wandten sich auch die Abgeordneten der DNVP und DVP gegen die Vertragsunterzeichnung. Als einzige Oppositionspartei billigte die USPD die Annahme des Vertrages.

In der namentlichen Abstimmung am 22. Juni 1919 votierten 237 Abgeordnete für die Unterzeichnung des Friedensvertrages, 138 stimmten mit Nein, fünf enthielten sich. Einer »Zustimmungskoalition« aus SPD, Zentrum und USPD standen die anderen Parteien gegenüber: DDP, DNVP, DVP, Deutsch-Hannoversche Partei und einige fraktionslose Abgeordnete.
Die sieben mit Nein stimmenden Zentrumsabgeordneten kamen überwiegend aus den Gebieten, die durch den Friedensvertrag von der Abtrennung vom Deutschen Reich bedroht waren. Zu den sieben DDP-Abgeordneten, die dem Vertrag zustimmten, gehörte der Fraktionsvorsitzende Friedrich von Payer, dessen Fraktion seinem Votum aber mehrheitlich nicht zustimmte.

Die deutsche Regierung übermittelte der Friedenskonferenz in Paris daraufhin eine Note, in der sie mitteilte, dass das Deutsche Reich den Vertrag vorbehaltlich der Bestimmungen zur Kriegsschuld und der Auslieferung von Deutschen an die Siegermächte unterzeichnen werde. Der Präsident der Friedenskonferenz, der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau, lehnte diese Vorbehalte ab. Der Vertrag könne nur in seiner Gesamtheit angenommen oder abgelehnt werden.

Reichskanzler Bauer erläuterte der Nationalversammlung am 23. Juni 1919 die neue – eigentlich alte – Sachlage. Die Abgeordneten Eugen Schiffer (DDP) und Rudolf Heinze (DVP) begründeten für ihre Fraktionen deren weiterhin ablehnende Voten. Immerhin stellte Schiffer ausdrücklich fest, dass auch die Befürworter des Vertrages ausschließlich aus »vaterländischer Gesinnung und Überzeugung« handelten.

Die Ratifizierung durch das Reichsgesetz über den Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den alliierten und assoziierten Mächten geschah am 9. Juli 1919 mit ähnlichen Stimmenverhältnissen. Die deutsche Friedensdelegation in Versailles unterzeichnete den Friedensvertrag am 28. Juni 1919.
Die Solidarität der Angeordneten im Juni 1919 blieb nicht von langer Dauer.

Literatur:
Boden , Ragna: Die Weimarer Nationalversammlung und die deutsche Außenpolitik. Waffenstillstand, Friedensverhandlungen und internationale Beziehungen in den Debatten von Februar bis August 1919. Frankfurt/Main 2000.