Parlamentarismus

Gedanken zur Lage und Geschichte des Parlamentarismus und Informationen zu seiner historischen Erforschung
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Archive for the ‘Vergleich’

Konferenz über Lebenswelten von Abgeordneten in Europa

Oktober 20, 2011 By: Parlamentshistoriker Category: Europa, Konferenz, Vergleich

Am 26./27. Oktober 2011 wird die dreiteilige internationale Konferenzserie über „Parlamentarische Kulturen in Europa“ mit der zweiten Konferenz in Prag fortgesetzt.
Die Veranstalter sind das Masaryk-Institut und Archiv der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, das Institut für tschechische Geschichte an der Karls-Universität Prag sowie der Senat des Parlaments der Tschechischen Republik, welcher die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen wird.

Das Thema der Konferenz sind die „Lebenswelten von Abgeordneten in Europa (1860–1990)„.

Die Tagung ist in vier Sektionen mit diesen Themen gegliedert:
1) Wege in den Beruf: Herkunft, Bildung, politische Sozialisation
2) Lebensformen der Abgeordneten: Privatleben
3) Lebensformen der Abgeordneten: parlamentarischer Alltag
4) Selbstinszenierungen: Abgeordnete und Medienöffentlichkeit

Das Programm kann hier eingesehen werden.

150 Jahre moderner Parlamentarismus in Mitteleuropa

Februar 02, 2011 By: Parlamentshistoriker Category: Konferenz, Vergleich

Das Abgeordnetenhaus und der Senat des Parlaments, das Masaryk-Institut und das Archiv der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik sowie die Österreichische Akademie der Wissenschaften – Kommission für die Geschichte der Habsburgermonarchie veranstalten vom 6.-8. April 2011 eine internationale Konferenz in Prag über den Parlamentarismus in Mitteleuropa.
Die Konferenzbeiträge werden die folgenden Fragestellungen berücksichtigen:

1) Entstehung und Entwicklung des Parlamentarismus und Konstitutionalismus in Mitteleuropa bis zum Jahr 1918
2) Spezifika der Entwicklung des Parlamentarismus im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit
3) Volksrepräsentation in Parlamenten der Vielvölkerstaaten
4) Parlamentarismus in totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts
5) Parlament und Parlamentarismus in der posttotalitären Transformation

Das vorläufige Programm kann unter dem Eintrag Konferenzen eingesehen werden.

Vergleichende Erforschung Parlamentarischer Kulturen

November 03, 2010 By: Parlamentshistoriker Category: Europa, Konferenz, Vergleich

Die Mailingliste H-Soz-u-Kult hat einen Bericht über die Tagung “Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder” veröffentlicht.
Morgen schließt eine von der Parlamentarismuskommission organisierte Konferenz über Parlamentarische Kulturen in Europa – Das Parlament als Kommunikationsraum an die Fragestellungen der Juli-Tagung an.
Im Rahmen der vier Panels “Überlegungen zur Theorie und Methode einer vergleichenden Geschichte parlamentarischer Kommunikation”, “Parlamentarische Zeremonien als kommunikative Akte”, “Parlamentarische Redeweisen” sowie “Parlamentarische Kommunikation mit der Öffentlichkeit” werden die Ausprägungen parlamentarischer Systeme in Europa vergleichend analysiert.

Das Diktat und der Wähler

Oktober 02, 2008 By: Parlamentshistoriker Category: Reichstag, Vergleich

Wie reagieren Parlamente, wenn sie Gesetze beschließen müssen, die auf den Widerstand ihrer Wähler treffen?
Ein aktuelles – amerikanisches – Beispiel weckt die Erinnerung an ein historisches – deutsches – Beispiel.

Die »bailout bill«
Das amerikanische Repräsentantenhaus befasste sich am 29. September 2008 mit der bailout bill, einem 700-Milliarden-Dollar-Paket. Allgemein wurde in der veröffentlichten Meinung die Auffassung vertreten, dass die Verabschiedung dieses Gesetzes zur Behebung der Finanzkrise absolut notwendig sei: Nur durch die zeitweise Übernahme »fauler« Kredite werde ein weiterer Zusammenbruch von Banken mit unabsehbaren Folgen für das Finanz- und Wirtschaftssystem verhindert werden können.
Verständlicherweise waren viele Menschen empört, dass »die Banker« für ihr Versagen nicht einstehen sollten, sondern durch die staatliche Intervention ihre hohen Gehälter und Boni würden behalten können. Eine derartige Belohung von Misswirtschaft hatte es zuvor noch nicht gegeben.

Das »überraschende« Ergebnis der Abstimmung lautete: 228 Neinstimmen und nur 205 Jastimmen. Gegen das Paket stimmten 133 von 199 der republikanischen Mitglieder des Repräsentantenhauses und 95 der 235 Demokraten. Warum erhielt der Gesetzentwurf keine Mehrheit?

Einige republikanische Abgeordnete versuchten, die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi für die Neinstimmen der Republikaner verantwortlich zu machen. Diese habe eine parteipolitische Rede gehalten, die es vielen Republikanern unmöglich gemacht habe, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Pelosi hatte die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bush-Regierung als Ursache für die Krise benannt und in Richtung der Republikaner erklärt: »Die Party ist vorbei!«

Sind Abgeordnete so einfach zu beleidigen, selbst wenn es um das Wohl des Landes geht?
Die Gründe waren an anderer Stelle zu suchen: Die Telefonleitungen des Repräsentantenhauses waren in den Stunden vor der Abstimmung am Rande des Zusammenbruchs. Die Abgeordneten wurden von ihren Wählern bestürmt, dem Paket ihre Zustimmung zu verweigern.

Der republikanische Abgeordnete Darrell Issa sprach offen aus, dass ein großer Teil der Republikaner gegen Präsident Bush revoltiert habe. Die Wall Street dürfe nicht durch den Steuerzahler subventioniert werden. Zwar habe die Fraktionsführung alle Abgeordneten auf die Gefährdung der amerikanischen Wirtschaft hingewiesen und mit Sanktionen wie dem Verlust von Ämtern gedroht, die Rebellen hätten aber auf ihre Wähler gehört: Keine Steuergelder für gescheiterte Millionäre! Kein Cent für die gierigen Wall Street-Banker!
Issa konnte dem Druck der Fraktionsführung übrigens problemlos widerstehen, weil er selbst Millionär ist.

Der demokratische Abgeordnete Pete Visclosky ergänzte: »Wir leben im goldenen Zeitalter für Räuber. Und in meiner Welt werden Räuber nicht gerettet, sondern ins Gefängnis geworfen.«

So hatten beide Parteien zwar ein Interesse daran, dass das Paket verabschiedet würde, wollten aber vor den Wählern nicht dafür einstehen. Die Abgeordneten trotzten dem »Diktat« der Exekutive und der Finanzmärkte, weil für sie die befürchtete Reaktion der Wähler ausschlaggebend war. Erst im zweiten Anlauf konnte die Zustimmung mit staatspolitischer Vernunft gerechtfertigt werden. Beide Parteien hatten erfolgreich das Odium von sich gewiesen, die Wall-Street-Banker zu »beschenken«.

Der Friedensvertrag von Versailles
Im Juni 1919 musste die deutsche Nationalversammlung einen Weg finden, den von allen Parteien abgelehnten Friedensvertrag von Versailles zu ratifizieren. Die Regierung Scheidemann trat in den frühen Morgenstunden des 20. Juni 1919 zurück, weil sich das Kabinett nach der Ablehnung seiner Gegenvorschläge durch die Siegermächte nicht über die Frage der Unterzeichnung einigen konnte. Damit blieben weniger als 100 Stunden Zeit, um die von den Alliierten für den Fall der Nichtunterzeichnung angedrohte Wiederaufnahme militärischer Handlungen abzuwenden.
Die Gegner und Befürworter der Unterzeichnung des Friedensvertrages stimmten überein, dass die drohende Besetzung weiteren deutschen Gebiets zu bürgerkriegsähnlicher Wirren und dem Verlust der Reichseinheit durch Separatfriedenschlüsse führen könnte.
Der neue sozialdemokratische Reichskanzler Gustav Bauer sprach sich am 22. Juni 1919 vor der Nationalversammlung für die Vertragsunterzeichnung aus, lehnte aber einzelne Bestimmungen wie die Auslieferung von Deutschen an die Siegermächte und die Annahme des alleinigen Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Krieges ab. Während die Redner der Koalitionsfraktionen SPD und Zentrum sich Bauers Argumentation anschlossen, sprach sich der bisherige Reichsfinanzminister Eugen Schiffer im Namen der Mehrheit der DDP-Abgeordneten gegen die Annahme des Vertrages aus. Mit scharfen Worten wandten sich auch die Abgeordneten der DNVP und DVP gegen die Vertragsunterzeichnung. Als einzige Oppositionspartei billigte die USPD die Annahme des Vertrages.

In der namentlichen Abstimmung am 22. Juni 1919 votierten 237 Abgeordnete für die Unterzeichnung des Friedensvertrages, 138 stimmten mit Nein, fünf enthielten sich. Einer »Zustimmungskoalition« aus SPD, Zentrum und USPD standen die anderen Parteien gegenüber: DDP, DNVP, DVP, Deutsch-Hannoversche Partei und einige fraktionslose Abgeordnete.
Die sieben mit Nein stimmenden Zentrumsabgeordneten kamen überwiegend aus den Gebieten, die durch den Friedensvertrag von der Abtrennung vom Deutschen Reich bedroht waren. Zu den sieben DDP-Abgeordneten, die dem Vertrag zustimmten, gehörte der Fraktionsvorsitzende Friedrich von Payer, dessen Fraktion seinem Votum aber mehrheitlich nicht zustimmte.

Die deutsche Regierung übermittelte der Friedenskonferenz in Paris daraufhin eine Note, in der sie mitteilte, dass das Deutsche Reich den Vertrag vorbehaltlich der Bestimmungen zur Kriegsschuld und der Auslieferung von Deutschen an die Siegermächte unterzeichnen werde. Der Präsident der Friedenskonferenz, der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau, lehnte diese Vorbehalte ab. Der Vertrag könne nur in seiner Gesamtheit angenommen oder abgelehnt werden.

Reichskanzler Bauer erläuterte der Nationalversammlung am 23. Juni 1919 die neue – eigentlich alte – Sachlage. Die Abgeordneten Eugen Schiffer (DDP) und Rudolf Heinze (DVP) begründeten für ihre Fraktionen deren weiterhin ablehnende Voten. Immerhin stellte Schiffer ausdrücklich fest, dass auch die Befürworter des Vertrages ausschließlich aus »vaterländischer Gesinnung und Überzeugung« handelten.

Die Ratifizierung durch das Reichsgesetz über den Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den alliierten und assoziierten Mächten geschah am 9. Juli 1919 mit ähnlichen Stimmenverhältnissen. Die deutsche Friedensdelegation in Versailles unterzeichnete den Friedensvertrag am 28. Juni 1919.
Die Solidarität der Angeordneten im Juni 1919 blieb nicht von langer Dauer.

Literatur:
Boden , Ragna: Die Weimarer Nationalversammlung und die deutsche Außenpolitik. Waffenstillstand, Friedensverhandlungen und internationale Beziehungen in den Debatten von Februar bis August 1919. Frankfurt/Main 2000.