Parlamentarismus

Gedanken zur Lage und Geschichte des Parlamentarismus und Informationen zu seiner historischen Erforschung
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Archive for August, 2008

Transnationale Parlamentarismusforschung

August 29, 2008 By: Parlamentshistoriker Category: Bücher, Bundestag, Europa

Intelligenztests werden Probanden Reihen vorgegeben, die sie passend ergänzen sollen.
Dazu passend ein kleiner Geschichtswissenschafts-Intelligenztest.
Welches Wort passt zu der folgenden Reihe?

Nation – Gesellschaft – …

Der aufmerksame Leser dieses Eintrags wird den richtigen Begriff sicherlich ermittelt haben.
Nicht »Parlamentarismus(forschung)«, sondern »transnational« ist die korrekte Antwort.
Seit ungefähr 150 Jahren ist die Nation bzw. der Nationalstaat der bevorzugte Untersuchungsgegenstand der (deutschen) Historiker.
Nach dem Zweiten Weltkrieg »entdeckten« die Historiker die Gesellschaft als neuen Bezugspunkt historischer Analyse. Hans-Ulrich Wehlers »Deutsche Gesellschaftsgeschichte« ist das bekannteste Beispiel für diese Verlagerung des Erkenntnisinteresses.

In den letzten Jahren hat sich die Geschichtswissenschaft zunehmend mit transnationalen Phänomen und Prozessen beschäftigt, wovon Titel wie »Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats« oder »Das Kaiserreich transnational« Zeugnis ablegen.

Mit dem Begriff »transnational« ist weder eine ausgearbeitete Theorie noch eine besondere Untersuchungsmethode verbunden. Er meint Beziehungen und Konstellationen, welche die nationalen Grenzen überschreiten. Die in der deutschen Geschichtswissenschaft lange vorherrschende Frontstellung über den Vorrang der Außenpolitik oder der Innenpolitik wird als überholt angesehen. Die transnationale Perspektive schließt nahezu alles ein – außer den Beziehungen zwischen Staaten, die weiterhin von der Internationalen Geschichte bzw. der Diplomatiegeschichte erforscht werden.

Die Offenheit des Konzepts sei durch ein Zitat von Michael Geyer verdeutlicht:

Transnational history is part and parcel of a shifting sense of history, or perhaps more properly, of a shifting sense of what historians accept as legitimate subjects and methods. […] Undoubtedly, the most enticing element of transnational history is its sense of openness an experimentation.

In der anglo-amerikanischen Forschung waren die »postcolonial studies« der Vorreiter dieses Konzepts. Sie befassten sich mit der Frage, inwiefern die Gesellschaften in den Kolonien und in abhängigen Gebieten (die Peripherie) die Gesellschaften in den Kolonialstaaten (die Metropole) beeinflusst haben. Die französische Geschichtswissenschaft hat zu dieser Debatte einen wichtigen Beitrag geleistet, indem sie Untersuchungen zu kulturellen Transfers und »gekreuzten Geschichten« (histoire croisée) vorgelegt hat: Was übernehmen Gesellschaften von anderen Gesellschaften?
Die bevorzugten Untersuchungsgegenstände einer transnationalen Geschichtswissenschaft sind bisher Migration, Handelswege oder der Einfluß internationaler Institutionen.

Auch die Parlamentarismusforschung hat begonnen, sich mit »Transnationalität« zu beschäftigen.
Stefan Marshall veröffentlichte im Jahre 2005 seine Habilitation »Transnationale Repräsentation in Parlamentarischen Versammlungen. Demokratie und Parlamentarismus jenseits des Nationalstaats«. Er untersuchte darin 45 multilaterale Körperschaften auf ihre Arbeitspraxis und ihre repräsentative Qualität. Das Charakteristikum dieser Parlamentarischen Versammlungen ist, dass sie als Volksvertretung ohne Volk zu definieren sind.
Er befasste sich vornehmlich mit der NATO-Parlamentarierversammlung, der Parlamentarischen Versammlung der OSZE sowie den Versammlungen des Europarats und der WEU.
Marshall kam zu dem – nicht überraschenden – Ergebnis, dass die vier ausgewählten Parlamentarischen Versammlungen weit davon entfernt seien, eine bevölkerungsproportionale Vertretung zu gewährleisten. Die Existenz transnationaler parteipolitischer Gruppierungen werde von einigen Versammlungen ausdrücklich erwähnt und gefördert.

Ein weiteres Beispiel transnationaler Parlamentarismusforschung ist die 2006 erschienene Studie »Niedergang der Parlamente? Transnationale Politik im Deutschen Bundestag und der Assemblée nationale« von Markus Obrecht.
Obrecht fragte nach dem Einfluß beider Parlamente auf die Außenpolitik. Er analysierte die Auschußebene, die Plenumsebene und die Netzwerkstrukturen der Abgeordneten unter Berücksichtigung der Auslandsreisen.
Obrecht gelangte zu der Schlußfolgerung, dass beide Parlamente keinen einseitigen Niedergang ihrer Funktionen hinnehmen mussten. Die Funktionen hätten sich allerdings gewandelt. Dem relativen Niedergang bei der Gesetzgebungsfunktion entspreche eine Hinwendung zu eher kontrollierenden Aufgaben, die sich im wesentlichen aus der bisher in der Literatur vernachlässigten Symbolfunktion des Parlaments ableiteten.

Zur weiteren Lektüre sei empfohlen:
Conrad, Sebastian und Jürgen Osterhammel (Hrsg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004.
Conrad, Sebastian: Doppelte Marginalisierung. Plädoyer für eine transnationale Perspektive auf die deutsche Geschichte, in: GG 28 (2002), S. 145-169.
Gräser, Marcus: Weltgeschichte im Nationalstaat. Die transnationale Disposition der amerikanischen Geschichtswissenschaft, in: HZ 283 (2006), S 355-382.
Hoffmann, Stefan-Ludwig: Democracy and Associations in the Long Nineteenth Century: Toward a Transnational Perspective, in: The Journal of Modern History 75 (2003), S. 269-299.
Kenis, Patrick, Andreas Nölke und Jörg Raab: Transnationale Politiknetzwerke. Institutionenkultur jenseits des Nationalstaates, in: Dieter Gosewinkel, (Hrsg.): Politische Kultur im Wandel von Staatlichkeit, Berlin 2008 (WZB-Jahrbuch 2007), S. 163-178.
Kraft-Kasack, Christiane: Transnational Parliamentary Assemblies: A Remedy for the Democratic Deficit of International Governance?, in: West European Politics 31 (2008) S. 535-557.
Kuper, Ernst: Zwischen nationaler und internationaler Ebene. Transnationale Parteienkooperation in Europa als Forschungsproblem der Politikwissenschaft, in: Jürgen Mittag (Hrsg.): Politische Parteien und europäische Integration. Entwicklung und Perspektiven transnationaler Parteienkooperation und europäischer Parteien. Essen 2006, S. 77-99.
Marshall, Stefan: Transnationale Repräsentation in Parlamentarischen Versammlungen. Demokratie und Parlamentarismus jenseits des Nationalstaates, Baden-Baden 2005 (= Studien zum Parlamentarismus; 1).
Obrecht, Markus: Niedergang der Parlamente? Transnationale Politik im Deutschen Bundestag und der Assemblee nationale, Würzburg 2006.
Osterhammel, Jürgen: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001.
Owetschkin, Dimitrij: Transnationale Parteiengeschichte. Anmerkungen zur Transnationalisierung und Europäisierung aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive, in: Jürgen Mittag (Hrsg.): Politische Parteien und europäische Integration. Entwicklung und Perspektiven transnationaler Parteienkooperation und europäischer Parteien. Essen 2006, S. 61-76.
Schulz-Forberg, Hagen: The European Public Sphere and the Transnational History of the Notion of Europe after 1945, in: José M. Faraldo, Paulina Guliñska-Jurgiel und Christian Domnitz (Hrsg.): Europa im Ostblock. Vorstellungen und Diskurse (1945-1991), Köln 2008, S. 37-59.
Wehler, Hans-Ulrich: Transnationale Geschichte – der neue Königsweg historischer Forschung?, in: Gunilla Budde, Sebastian Conrad und Oliver Ganz (Hrsg.): Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006, S. 162-174.

Parlamentarische Kultur in den Niederlanden

August 26, 2008 By: Parlamentshistoriker Category: Europa, Forschungsinstitut

Im Februar 2008 besuchten Mitarbeiter des Forschungsinstituts der Parlamentarismuskommission in Berlin das neu gegründete Montesquieu Instituut für europäische Parlamentarismusforschung in Den Haag. Dabei trafen wir mit unseren Kollegen vom Centrum voor Parlementaire Geschiedenis zusammen.
Einige Hundert Meter von den Räumen des Instituts entfernt befindet sich der Sitz des niederländischen Parlaments, die Tweede Kamer der Staten-Generaal. Wir wohnten einer Parlamentsdebatte bei und wurden im Rahmen einer Führung über die Arbeitsweise des Parlaments informiert.

Die Kollegen vom CPG erforschen derzeit die parlamentarische Kultur der Niederlande. Sie beschäftigen sich dabei insbesondere mit der Frage, welche Rolle Rituale und Symbole in der niederländischen Politik spielen. Sie baten mich, Ihnen meine Beobachtungen über niederländische Spezifika mitzuteilen.

Rituale
Ein Ritual kann als eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende, feierlich-festliche Handlung mit hohem Symbolgehalt definiert werden. Das Ritual wird meistens von bestimmten Wortformeln und festgelegten Gesten begleitet. Der gemeinschaftliche Vollzug eines Rituals fördert den Zusammenhalt einer Gruppe, so z.B. das gemeinsame Gebet in der Kirche oder das Singen der Nationalhymne bei Fußballspielen.
Rituale schaffen Legitimität.
Der amerikanische Politikwissenschaftler Murray Edelman hat in seinem Buch »The Symbolic Uses of Politics« darauf hingewiesen, dass moderne Demokratien Rituale zu propagandistischen Zwecken einsetzen. Durch Rituale kann der Anschein erweckt werden, dass etwas geschieht, obwohl die Probleme in Wirklichkeit ungelöst bleiben. So können Wähler durch symbolische Rituale dazu veranlasst werden, die Legitimität des Status quo zu akzeptieren, selbst wenn die tatsächliche Politik ihren Interessen nicht dient.

Rituale der Monarchie
In einem uns vorgeführten Informationsfilm wurde die Kutschenfahrt der Königin am »Prinsjesdag« gezeigt. Die Königin reist in einer goldenen Kutsche vom Paleis Noordeinde zum Ridderzaal im Parlamentsgebäude. Jedes Jahr, am dritten Dienstag im September, verliest sie die Thonrede vor den Mitgliedern der ersten und der zweiten Kammer. Die von der Regierung verfasste Thronrede gibt die Pläne der Regierung für das kommende Jahr bekannt und enthält einen Bericht zur Lage der Nation. Die politische Verantwortung für den Inhalt der Rede hat die jeweilige Regierung. Die Thronrede ist mir aus der britischen Praxis bekannt. Gibt es sie auch in den skandinavischen Staaten und in Belgien, fragte ich mich.
Die Königin als Staatsoberhaupt kann durch dieses Ritual gezwungen werden, eine von ihr völlig abgelehnte Politik als ihre eigene vorzustellen. Möglicherweise wird sie durch ihre Mimik verraten, was sie von den einzelnen Maßnahmen und Bewertungen hält.
Mit dem Kind in dem Märchen »Des Kaisers neue Kleider« könnte der Zuschauer dieses Rituals rufen: »Die Königin ist nackt«, d. h. sie verfügt über keine politische Macht. Die Monarchin kann sich durch dieses Ritual als Teil der Krone inszenieren, sie wird zur Vertreterin der Parlamentsmehrheit, ohne damit Verantwortung zu übernehmen.
In der Bundesrepublik kann der Bundespräsident als Staatsoberhaupt von der Regierung nicht gezwungen werden, die Haltung der Regierung in einer Rede zu vertreten. Allerdings muss er sich für »politische» Reden der Zustimmung des Bundeskanzlers versichern.

Rituale des Parlaments
Am »Prinsjesdag« wird nach Verlesen der Thronrede das »miljoenen nota», der geheimgehaltene Haushaltsentwurf für das kommende Fiskaljahr vom Finanzminister in einem Koffer (koffertje) präsentiert. Der Koffer trägt die Aufschrift »Derde Dinsdag in September«.
Dieses Ritual basiert auf der Fiktion, daß der Staatshaushalt bis zu seiner Vorstellung an diesem Tag geheim bleibt. Ich nehme an, dass jeder aufmerksame Zeitungsleser über die Eckdaten des Haushalts informiert ist.
Durch das koffertje-Ritual interessieren sich mehr Niederländer für die Haushaltsberatungen und damit auch für die Politik insgesamt.
Ein halbes Jahr später muss sich die Minister in einer Debatte rechtfertigen, welche ihrer Ziele und Ankündigungen sie umgesetzt haben. Dieses Ritual hat in der Bundesrepublik keine Entsprechung.

Politische Praxis in einer Plenardebatte
Die nur schwach besuchte Plenardebatte über die Bezahlung von Polizisten entsprach meinen Erwartungen. Das »Ritual« der leeren Sitzreihen informiert den Bürger darüber, dass die Entscheidungen in den Ausschüssen getroffen werden.
Die Abgeordneten lassen sich nicht im Verlauf einer Debatte vom vermeintlich besseren Argument der Gegenseite überzeugen. Die jeweiligen Spezialisten der Fraktionen tauschen ihre Standpunkte aus. Die Angehörigen einer Fraktion richten sich in ihrem Abstimmungsverhalten nach dem Votum ihrer Spezialisten.
Theoretisch gesehen sollen die Abgeordneten des Bundestages ihre Reden frei – d.h. ohne Manuskript – halten. In der Praxis halten sich nur ganz wenige Abgeordnete an diese Bestimmung der Geschäftsordnung.
Auch die niederländischen Parlamentarier lesen ihre Reden ab. Die niederländischen Plenardebatten sind allerdings durch das über die Parlamentsvorsitzende vermittelte Fragerecht dynamischer. Nicht wie im Bundestag der Abgeordnete am Rednerpult, sondern die Sitzungsleiterin entscheidet darüber, ob eine Frage zugelassen wird. Ich nehme an, dass nahezu alle Fragen vom Redner beantwortet werden müssen.
Im Bundestag wird von den Abgeordneten erwartet, dass sie während der Beantwortung der Frage vor dem Mikrofon stehen bleiben. Daher war es für den deutschen Betrachter überraschend, dass die Fragesteller während der Beantwortung ihrer Frage auf und ab gingen, oder sich sofort wieder auf ihren Platz setzen. Ich fragte mich, ob diese Fragen auf die Redezeit angerechnet werden. Im Bundestag erkundigen sich die Abgeordneten beim Präsidenten, ob die Fragen und ihre Antworten auf ihre Redezeit angerechnet werden. Man fühlt sich an Verletzungsunterbrechungen bei Fußballspielen erinnert.
In dem uns gezeigten Film wurden Ausschnitte aus der wöchentlich stattfindenden Fragestunde gezeigt. Die Lebendigkeit der Debatte erinnerte an die Fragestunde des britischen Unterhauses. Die Fragestunde des Bundestages erstreckt sich weitgehend auf die Verlesung der Antworten zuvor schriftlich eingereichter Fragen.

Die Rückkehr des Charismas

August 24, 2008 By: Parlamentshistoriker Category: Wahlkampf

9. September 1948: Während der Berlin-Blockade wendet sich Bürgermeister Ernst Reuter in einer berühmten Rede vor dem Reichstag an die Völker der Welt und bittet sie um ihre Unterstützung.

26. Juni 1963: Zwei Jahre nach dem Mauerbau besucht der amerikanische Präsident John F. Kennedy Berlin (West). Vor dem Schöneberger Rathaus versichert er einer begeisterten Menschenmenge die amerikanische Unterstützung mit den unsterblich gewordenen Worten »Ich bin ein Berliner«.

45 Jahre später überlegt der Stab eines amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, wie und wo sich der Kandidat mit einer außenpolitischen Rede in Szene setzen könnte.
Die erste Wahl fällt auf das Brandenburger Tor in Berlin. Da Bundeskanzlerin Merkel Vorbehalte gegen die Instrumentalisierung dieses Symbols im amerikanischen Wahlkampf äußert, verlegt Barack Obama seine Rede an die Siegessäule – in Sichtweite des Brandenburger Tors.

27. Juni 2008 Obama führte am Vormittag mehrere Gespräche mit deutschen Politikern. Die deutsche Presse verzeichnete jeden seiner Schritte minutiös.
Zusammen mit einigen Kollegen beschloß ich, der ersten (?) transatlantischen Wahlveranstaltung als Zeitzeuge beizuwohnen. Die Sicherheitskontrollen waren denen von Transatlantikflügen vergleichbar. Immerhin mussten wir nicht unsere Schuhe ausziehen. Das Mitbringen von Transparenten war von den Veranstaltern nicht erwünscht. Dieses frei schwenkbare 360-Grad-Panorama vermittelt einen guten Eindruck vom Ort des Geschehens.
Fuer mich als Teilnehmer circa 50 Meter von Obama entfernt wirkte sein Auftritt weit weniger charismatisch und aufregend als für den Fernsehzuschauer. In den ersten Minuten ueberlegte ich, wann wir einmal Gelegenheit zum Beifall erhalten würden. Man konnte seinen Ausführungen problemlos zustimmen, weil sie so allgemein blieben.
Obama zitierte aus der Rede Reuters und erinnerte an die Luftbrücke. In einer Stadt, welche die Schließung des Flughafens Tempelhof beschlossen hat, wollte sich zu diesen Worten keine Begeisterung einstellen.
Auffallend war, dass Obama das Ende von Beifallsbekundungen nicht abwartete, sondern weitersprach. Dies ist – wie ich vermute – damit zu erklären, dass der Redetext auf seinem Teleprompter weiterlief.
Ein anderer Zeitzeuge deutete das Geschehen hingegen folgendermaßen:

Eine besonders surreale Situation ergab sich dadurch, dass auch der zwischendurch aufbrausende Beifall dieselben Hall-Effekte, Verzögerungen und verschobenen Einsätze aufwies wie die Tonübertragung. Vermutlich kam dies schlicht dadurch zu Stande, dass die im Publikum verteilten Obama-Aktivisten ja schon genau wussten, wann sie klatschen und jubeln mussten, und es eine gewisse Zeit brauchte, bis die Umgebung das aufnahm. Da im inneren Zirkel in der Übertragungsnähe natürlich die meisten Claqueure konzentriert waren, kam ein Teil davon mit der entsprechenden Verzögerung dann über die Lautsprecher. Für Außenstehende entstand dadurch aber der absurde Eindruck, es würde in schöner amerikanischer Tradition an den richtigen Stellen der Beifall eingespielt. Was man ja angesichts der ganzen Inszenierung auch nicht ausschließen kann.

Obamas mich an Predigten in den USA erinnernde Rhetorik ist für das deutsche Ohr ungewohnt. Keiner deutscher Politiker hat dieses Pathos in der Stimme.
Sicherlich spielte auch eine Rolle, dass mich nie das Gefühl verließ, nur als »Jubeldeutscher» an einer Wahlveranstaltung teilzunehmen, aber nicht wählen zu dürfen.

»Das ist unser Moment. Das ist unsere Zeit», rief Obama seinen Zuhörern zu. Er versicherte, Probleme wie die Friedenssicherung, die Nichtverbreitung von Atomwaffen und den Klimawandel multilateral lösen zu wollen – unter zunehmenden Beifall des Publikums.

Stunden bevor Obama in den USA auf der Rückkehr von seiner Europareise landete, kritisierte McCains Sprecher Tucker Bounds dessen Verzicht, verwunderte Soldaten im Militärkrankenhaus in Landstuhl zu besuchen:

“You know, it really speaks to the experience that Barack Obama lacks. He prioritizes throngs of fawning Germans over meeting with wounded combat troops in Germany.”

In den deutschen Medien wurde darüber gestritten, wie diese Kritik zu bewerten sei. Sicherlich war dies nicht als Kompliment gemeint. Wie würde Bounds Deutsche bezeichnen, die einem Präsidenten McCain zujubeln? Transnationale Wahlkampfveranstaltungen haben ihre eigenen Probleme.

Fazit: Als Teilnehmer der Veranstaltung fühlte ich mich an die Übertragung von Fußballspielen ohne deutsche Beteiligung auf der Fanmeile erinnert: Langes Warten auf den Anpfiff, ab und zu Jubel bei Torszenen, aber kein emotionaler Bezug zum Geschehen.